
Die Nachricht ist nicht neu, aber sie gewinnt angesichts der aktuellen Entwicklungen an Brisanz: Friedrich Merz, der heutige Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, war von 2016 bis 2020 Aufsichtsratsvorsitzender von BlackRock Deutschland – der deutschen Tochter des größten Vermögensverwalters der Welt. Ein Mann also, der einst an der Spitze eines Finanzgiganten stand, der nun die wirtschaftliche und politische Richtung eines ganzen Landes vorgibt.
Ein solcher Lebenslauf muss nicht per se verdächtig sein. Doch angesichts der Enthüllungen rund um die Steuervermeidungspraktiken von BlackRock stellt sich eine unbequeme Frage mit neuer Dringlichkeit: Dient Friedrich Merz dem Gemeinwohl – oder schützt er die Interessen globaler Finanzeliten?
Laut einer Studie, die dem ARD-Studio Brüssel und der Süddeutschen Zeitung vorliegt, entzieht BlackRock der Europäischen Union mit ausgefeilten, aber legalen Steuertricks jedes Jahr hunderte Millionen Euro. Allein Deutschland verliert demnach jährlich mindestens 50 Millionen Euro durch konzerninterne Lizenzgebühren, mit denen Gewinne in Niedrigsteuerländer wie Luxemburg und Irland verschoben werden.
BlackRock selbst streitet ab, etwas Unrechtmäßiges zu tun. Man zahle alle gesetzlich vorgeschriebenen Steuern – was, nüchtern betrachtet, vermutlich stimmt. Doch rechtlich zulässig heißt nicht moralisch vertretbar. Wenn legale Steuervermeidung in einem solchen Ausmaß möglich ist, stellt sich die Frage: Wer gestaltet die Regeln – und wer profitiert von ihren Lücken?
Friedrich Merz war kein Randfigur im BlackRock-Konzern. Er war das Gesicht des Unternehmens in Deutschland. Wer diesen Posten innehat, weiß, wie das System funktioniert – wie es nutzt, was das Gesetz erlaubt. Doch bislang tut Merz das nicht. Keine klare politische Initiative, kein Gesetzesvorschlag, kein öffentliches Bekenntnis zur Eindämmung jener Mechanismen, die er aus erster Hand kennt. Ein Schweigen, das laut wirkt – vor allem, wenn man sich die aktuelle Steuerpolitik der Bundesregierung ansieht: Sparsamkeit für die Bevölkerung, Nachsicht für die Konzerne.
Ein Kanzler mit Vergangenheit – aber ohne Distanz?
Wer in der Privatwirtschaft Verantwortung trägt, kann später in der Politik wertvolle Expertise einbringen – so lautet das klassische Argument. Aber bei Merz ist die Tür zwischen beiden Welten noch immer nicht zu. Die Nähe zu BlackRock bleibt spürbar, allein schon durch das Netzwerk, das aus solchen Funktionen entsteht. Ob bewusst oder nicht: Der Verdacht, dass Merz bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen nicht vollkommen unabhängig handelt, wird nicht kleiner.
Vielmehr hat sich ein hartnäckiger Eindruck in politischen und publizistischen Kreisen verfestigt: dass Merz in seinem Handeln als Regierungschef auch jene Interessen berücksichtigt, die in Sitzungssälen fernab demokratischer Transparenz formuliert werden – in Thinktanks, Lobbynetzwerken, Strategiekonferenzen. Dass er – kurz gesagt – zu oft als BlackRock-Manager denkt, obwohl er längst Bundeskanzler ist.
Der Verdacht, Merz stelle Finanzinteressen über das Gemeinwohl, mag nicht beweisbar sein – aber er ist politisch hochgiftig. Vertrauen ist die wichtigste Währung in einer Demokratie. Ein Kanzler, der nicht bereit ist, sich klar und sichtbar von seiner wirtschaftlichen Vergangenheit zu distanzieren, spielt mit diesem Vertrauen.
Das Mindeste, was man erwarten kann, ist Transparenz und klare Haltung. Wo bleibt der Vorstoß zur Einführung einer Konzern-Transparenzpflicht? Wo der politische Wille, die legale Steuervermeidung multinationaler Konzerne wirksam einzudämmen? Wo das sichtbare Signal, dass nicht die Interessen von BlackRock, sondern die der Bürgerinnen und Bürger im Mittelpunkt stehen?
Solange diese Fragen unbeantwortet bleiben, wird auch eine andere Frage weiter im Raum stehen: Wem dient dieser Kanzler wirklich?
von Klaus Augental